ZURÜCK ZUM 16. TAG

WEITER ZUM 18. TAG    

 

Freitag, 6. August
Auf Kultur folgt Natur

Fotoindex anzeigen
 

Heute müssen wir, Marina, Tim, Olga und Carsten, früh aufstehen und schnell frühstücken, denn wir wollen
schon um 7:30 Uhr das Haus verlassen. Der Grund für dieses straffe Morgenprogramm ist ein Musikwettbewerb,
bei dem Marina als eine der Organisatoren beim Einschreiben der Teilnehmer mitmacht und Tim einen Auftritt
hat, bei dem er zwei Stücke auf dem Flügel spielt. Der Veranstaltungsort liegt allerdings am anderen Ende der
Stadt und da heute Freitag ist, werden wir um diese Zeit bestimmt in den Strom des Berufsverkehrs geraten -
deshalb lieber mal eineinhalb Stunden Fahrzeit einplanen. Glücklicherweise entpuppt sich diese Sorge als unbe-
gründet und wir stehen eine halbe Stunde zu früh vor verschlossenen Türen einer kleinen Kirche im Stadtteil Nor-
wood. Um die Ecke gibt es ein kleines Café, in dem wir die Wartezeit gemütlich überbrücken können.

Um Punkt 9 Uhr werden wir in die Kirche The Salvation Army Norwood (= Heilsarmee) eingelassen. Der gemein-
nützige Verein The Adelaide Eisteddfod Society Inc. fördert alle erdenklichen Arten der darstellenden Künste

(z.B. Chöre, Instrumenten- und Schauspieler) und organisiert australienweit
Wettbewerbe. Bei diesen kommt es am Ende aber nicht nur auf die erreich-
te Platzierungen innerhalb der Altersgruppen und Leistungsgrade an, son-
dern jeder Teilnehmer erhält zudem die schriftliche Beurteilung einer renom-
mierten Gastjurorin. Eine solche kann unter Umständen sehr wichtig sein,
wenn man sich z.B. an bestimmten Schulen oder Universitäten bewerben
möchte. Marina hat uns schon darauf vorbereitet, dass besonders beim Kla-
vier bzw. Flügel Asiaten sehr stark vertreten sind, was sich auch bei unse-
rer Gruppe von insgesamt 13 Vorspielern widerspiegelt (immerhin mehr als
die Hälfte).

 
Marina ist mit der Anmeldung und Kassierung des Startgeldes zu stark in die organisatorischen Abläufe am Ein-
gang eingebunden, sodass wir einen sichtlich angespannten und aufgeregten Tim während des gesamten Cas-
tings begleiten werden. Im noch relativ kühlen Kirchensaal finden sich so langsam alle Eltern und dazugehörigen
Kinder ein. Bei manchen sieht man immer wieder, wie sie noch ganz schnell mit den Fingern die Abfolgen auf
den Knien nachspielen, denn bei einer solchen Konkurrenz und diesem Renommee muss am Ende jede Bewe-
gung und Note sitzen.

Durch die Veranstaltung führt eine nette, ältere Dame, die in ihrer Ansprache leider sehr deutlich betont, dass
keinerlei Ton- oder Bildaufzeichnungen erlaubt sind. Dann ist es soweit, jedes Kind bekommt seine Startnum-
mer gesagt und der erste Teilnehmer wird nach vorne gebeten. Im Vorfeld haben alle die Notenblätter von zwei
Stücken abgegeben, welche sich die Jury nun zurechtlegt. Die Kandidaten werden vorgestellt und die Namen
und Komponisten der beiden Lieder werden genannt.

Tim hat die Nummer 6 bekommen und nach seinem Vorspiel, als einziger ohne Notenblätter (!), sind wir der Mei-
nung, dass er ganz oben mit dabei sein wird. Seltsam, bei ihm erfasst Olga irgendwie das gleiche Gefühl wie bei
den Auftritten ihrer eigenen Kinder und so ist sie vielleicht sogar noch aufgeregter als er selbst. Carsten ist der
ruhigste von uns allen und schafft es durch seine Art und Unterstützung sogar, Tim hin und wieder zum Lächeln
zu bringen. Als alle durch sind, zieht sich die Jury für eine kleine Beratung zurück und die Spannung steigt bei
allen Beteiligten ins Unermessliche. Danach werden die Kinder von ihren Sitzen nach vorne aufgerufen und kön-
nen sich bei der Moderatorin ihre Urkunde und schriftliche Beurteilung abholen. Für Tim hat es leider nicht für
das Siegertreppchen ausgereicht, aber die Bewertung scheint trotzdem sehr positiv ausgefallen zu sein, denn
Marina und er sind trotz des 4. Platzes hochzufrieden. Laut Jury müssen sich wohl doch ein paar kleine Fehler
eingeschlichen haben, dafür hat er aber sein Stück "mit Seele gespielt". Man spürt nun förmlich, wie die An-
spannung von ihm abfällt, denn nach dem ganzen Wettbewerb mutiert er wieder zu dem aufgekratzten und
schnatternden Kind, wie wir ihn bisher kennengelernt haben.

Nach der Verteilung der Urkunden und Auswertungen ist die erste Sektion beendet, Marina muss aber auch
noch die zweite mitorganisieren. Während Olga sich dafür entscheidet noch mehr junge, australische Talente
anzusehen, ist bei Tim das Lebhafte vollends zurückgekehrt und Carsten schlägt vor, mit ihm um den Häuser-
block zu ziehen. Die beiden wollen die naheliegende Einkaufsstraße mit diversen Sport-, Spielzeug- und Zei-
tungsläden ablaufen.

Ab 12 Uhr haben wir dann endlich alle frei. Marina nutzt die Möglichkeit, uns in den Morialta National Park zu
entführen und einen der dortigen Wasserfälle zu zeigen. Nachdem wir den Besucherparkplatz erreichten und Tim
seine vornehmen Auftrittsschuhe gegen bequeme Sneakers getauscht hat, machen wir uns auf den ca. 2 km
langen Weg
zum Morialta Waterfall.

Der Name des Parks und des Wasserfalls leitet sich aus einem Wort der Kaurnasprache ab, denn "moriatta" be-
deutet "fließendes Wasser". Wir laufen den gut angelegten Wanderweg entlang und da heute ein ganz normaler
Arbeitstag im Winter ist, begegnen wir nur sehr wenigen Leuten. Die Gegend ist wunderschön und atemberau-
bend. Wir laufen durch Eukalyptuswälder, sehen wilde Kakadus, die natürlich schneller wegflattern als Olga den
Auslöser drücken kann, bewundern die orangefarbenen Felswände mit ihren deutlich sichtbaren Gesteinsschich-
ten und genießen die Ruhe.

 
Unterwegs schweifen wir vom direkten Weg zum Wasserfall ab und erklimmen aus Neugier
die Holztreppen zu einer Höhle. Dort angekommen erscheint sie uns relativ klein, dennoch
trägt sie den stolzen Namen "Giant's Cave" (zu Deutsch: Höhle der Riesen). Sehr tief konn-
ten sich diese wohl aber noch nie hineinbewegen, statt Höhle wäre die Bezeichnung Aus-
buchtung
vielleicht treffender.

 
Carsten entdeckt am Gestein der Höhle eine relativ wuchtige Spinne mit einem ro-
ten Körperteil. Im ersten Augenblick befürchtet Olga, dass wir nun doch noch auf
eine freilaufende Red-Back gestoßen sind, aber unsere Entdeckung hat keinen ro-
ten Rücken, sondern einen dunkelroten Kopf. Das beruhigt sie aber keinesfalls,
denn über die Geringfügigkeit der Giftigkeit können wir bis heute überhaupt keine
Aussage treffen. Besser das Tier nur fürs Fotoarchiv dokumentieren, in Ruhe las-
sen und unbeschwert weiterziehen.

 
Da genießt sie doch lieber die Flora am Wegesrand, denn für Europäer befinden
sich dort sehr viele ungewöhnlichen Pflanzen, z.B. eine Mischung aus kleiner Pal-
me und Schilf. Marina bezeichnet sie als Kangaroo Tail Plant (zu Deutsch: Kängu-
ruschwanzpflanze) und wir müssen wieder an die Worte von Mike im Warrawong
Sanctuary denken, dass die Australier die Umwelt am liebsten nach vergleichbaren
Dingen um sie herum benennen.

Während Olga Fotos schießt, sieht sie Carsten und Marina mit einer Asiatin
reden, die wiederum aufgeregt mit den Armen fuchtelt. Als sie zur Wander-
gruppe aufschließt, erfährt sie, dass sie von einem Koala erzählt hat, der oben
in einem Eukalyptus schläft und wir doch die Augen aufhalten sollten. Auch
wenn wir schon einige dieser kuscheligen, grauen Bären gesehen haben, be-
findet sich dieser wahrlich aus unserer Sicht in der unbequemsten Stellung,
die man auf einem Baum haben kann. Es sieht so unwirklich aus, eher als
wenn er von jemandem zu einer Kugel zusammengerollt worden und in die Ast-
gabel gestopft wäre - das kann einfach nicht bequem sein!

Nur ein paar Minuten später kommen wir am Wasserfall an, bestaunen seine Höhe und vor allen Dingen die
Wassermassen, welche im sonst recht trockenen Südaustralien gar nicht so selbstverständlich sind. Wir ge-
nießen das Naturschauspiel und Marina knipst das obligatorische Bild von uns mit dem ersten der drei Morialta
Wasserfällen als romantischen Hintergrund. Für die anderen beiden des Parks haben wir leider nicht mehr genug
Zeit und wenn es nach dem Youngster unserer Gruppe geht, muss auch sofort etwas zu Essen her, sonst würde
er bestimmt ganz schnell tot umfallen. In Absprache mit seiner Mutter stellen wir ihm einen kleinen Stopp bei
McDonalds in Aussicht. Für heute geht der Deal in Ordnung, da er sich bei seinem Wettbewerb erfolgreich ge-
schlagen hat, denn eigentlich wird im Haus unserer lieben Gastgeber sehr auf gesunde Ernährung geachtet und
somit Burgerschmieden rigoros gemieden.

Doch wer Murphy und sein berühmtes Gesetz kennt, der weiß was nun passiert. Trotz intensivster Suche nach
dem goldenen M können wir auf dem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit keine Futterstelle entdecken und so
erreichen wir den Cleland Conservation Park mit einem sehr enttäuschten Tim. Erst als wir ihm versprechen, den
Abstecher wirklich kurz zu halten und dann auf der ca. 8 km weiten Rückfahrt nach Adelaide weiter Ausschau

zu halten, können wir zum nicht weit vom Parkplatz entfernten Wasserfall
aufbrechen. Laut Infotafel trägt er den Namen Gully, für Deutschsprachige
äußerst witzig! Dieser ist etwas schmaler und kleiner als sein Vorgänger
von gerade, gehört aber dennoch zu den sieben größten der hiesigen Natur-
schutzgebiete und wird als lokale Attraktion angepriesen, welche sich zu
besuchen lohnt. Schön anzusehen ist er zwar, aber durch viel Beton, An-
bauten und geteerten Wegen versprüht er wieder nur Stadtparkcharme statt
freier Natur.

Zurück am Auto gibt es für Tim natürlich nur ein Thema und so machen wir uns nicht nur auf den Weg, sondern
auch auf die Suche nach einem "Mäcces". Im Gegensatz zur vorherigen Fahrt werden wir diesmal sogar schnell
fündig und kehren zudem glücklicherweise in eine Filiale mit Kaffeeecke und einer verlockenden Auswahl an
kleinen Törtchen ein, denn Marina und Olga gelüstet es weniger nach Fleisch bzw. Herzhaftem. Tim ist zufrieden
und sein Nervfaktor geht schlagartig zurück, sodass wir auf dem Rückweg noch an einem Einkaufszentrum an-
halten können, um etwas zu suchen, in das Olga sich im Haushalt unserer Gastgeber verguckt hat. Marina hat
immer einen Faltbeutel in Form einer Erdbeere in der Handtasche und so was möchte sie auch ihr Eigen nen-
nen. Aber wir werden leider nicht fündig. Na dann eben nicht ...

Zu Hause zieht es Olga umgehend in den gemütlichen Lesesessel im Wohnzimmer, wo sie ihre Beine ausstre-
cken und lesen kann. Carsten hat noch Energie und spielt auf der Terrasse erst mit Eugene und dann mit Tim
Tischtennis und für seine 20-jährige Pause hat er sich ganz gut gegen die beiden Jungs schlagen können. Ma-
rina dagegen entfleucht noch einmal aus dem Haus, da sie wohl ein paar Besorgungen zu erledigen hat.

Heute ist unser letzter (gemeinsamer) Abend in Australien und als Dank für die schö-
ne Zeit, die tolle Gesellschaft und vor allem für die Unterkunft laden wir alle zu einem
Abschiedsessen ein. Wir haben während unseres Aufenthaltes mitbekommen, dass
die Familie schon seit längerem das neue Chinarestaurant Yum Sing ausprobieren
möchte und da es praktischerweise auch noch in erlaufbarer Nähe liegt, haben wir
dort mit Marinas Hilfe einen Tisch reserviert. Die Großeltern und die Kinder ziehen
aber trotzdem eine Autofahrt vor.
 

Im Restaurant sitzen wir alle an einem großen, runden Tisch mit drehbarer Mitte, sodass wir Erwachsenen uns
für eine 6-Personen-Platte entscheiden, um möglichst viel durchprobieren zu können, und die beiden Jungs lie-
ber bekannte Dinge aus der Speisekarte bestellen. Die Menge der kulinarischen Köstlichkeiten überraschte
selbst solche erfahrenen Esser wie Carsten und Sascha, von den anderen Leuten am Tisch ganz zu schweigen.
Es beginnt zunächst ganz harmlos mit zwei Frühlingsröllchen pro Person, danach reicht man uns je zwei Satay-


 

 

Spieße, dicht gefolgt von einer Schale Hühner-Spargelsuppe. So viel zur Vorspeise. Ab
dann haben wir nur noch registriert, dass zahlreich Fleisch- und Seafood-Teller auf der
Tischmitte platziert worden sind, von denen jeder von uns gekostet und sich bedient hat.
All das am Ende aufzuessen ist ein Ding der Unmöglichkeit! Die Auswahl des passenden
Weins wurde schon zu Beginn in Saschas Hände gelegt und er wählte wie immer eine
wohlschmeckende Sorte aus - diesmal sogar vom Chateau Reynella. Als Nachtisch gibt
es gemischte Früchte und Eis ... was sind wir satt! Leider können wir uns nicht wie in deu-
tschen Restaurants Zeit zum Sacken lassen und wenigstens das Dessert später bestellen,
denn auch die Restaurants läuten bereits um 20:30 Uhr den Feierabend ein. Wir sind jetzt
schon die Letzten im Speisesaal und neben uns wurden alle Tische für das große Aufräu-
men bzw. Saubermachen hergerichtet, indem die weißen Decken abgezogen und die Stüh-
le hochgestellt worden sind. Nach dem Bezahlen (170 Euro sind da ja fast schon ein
Schnäppchen für 8 Personen, für ein so leckeres Essen und vor allem für diese Mengen)
rollen wir im wahrsten Sinne des Wortes alle ganz gemütlich nach Hause zurück, die einen
im Auto und der Rest per Pedes. Mit derart gefüllten Bäuchen kann man nicht besonders
schnell laufen, da tut dieser Verdauungsspaziergang richtig gut und wir haben zudem noch
jede Menge Zeit, um mit Marina und Sascha so Einiges zu bereden.

 
Im Haus versammeln wir alle in der Wohnküche, denn Carsten hat eine kleine Rede vorbereitet. Olga steuert
ihren Teil bei, indem sie dabei als Simultandolmetscherin vom Deutschen ins Russische agiert. Zuerst entschul-
digt sich Carsten dafür, dass wir durch unsere Anwesenheit die gewohnten Abläufe in der Familie etwas durch-
einander gebracht und Englisch als Familiensprache eingeführt haben, wo doch sonst das Slawische die wich-
tigste Rolle im Alltag spielt. Im Anschluss bedankt er sich in unser beider Namen für alles, was diesen Aufent-
halt so unvergesslich machen wird: für die Herzlichkeit, die Gastfreundlichkeit, die extra für uns abgetretene Zeit,
das leckere Essen, die Unterstützung bei der Organisation unserer Vorhaben und und und .... Für jedes Fami-
lienmitglied hat sich Carsten eine Entschuldigung ausgedacht, direkt gefolgt von einem persönlichen Dank.
Schon mittendrin, aber natürlich auch danach sind wir alle erst einmal etwas gerührt.

Als die Rede zu Ende ist, verblüfft Marina uns beide mit Gastgeschenken. Sie ist nämlich vor ein paar Stunden
nicht zum Einkaufen von dringend benötigten Lebensmitteln verschwunden, sondern um für uns einige Überra-
schungen zu holen - es ist wie Bescherung mitten im August. Als erstes ist ihr eingefallen, wo man noch so
einen Erdbeerbeutel, wie Olga ihn sich gewünscht hat, auf jeden Fall herbekommen kann. Danach reicht sie uns
ein australisches Kochbuch, die CD "Like It Like That" von Guy Sebastian, einem recht bekannten australischen
Popsänger aus Adelaide und für unsere Mädels Schokoladentafeln mit typisch australischen Tieren auf der Ver-
packung. Wir revanchieren uns direkt mit dem Überspielen von ca. 3500 unzensierten Fotoaufnahmen aus den
letzten drei Wochen und widmen uns dann dem traurigsten Part einer Reise, dem Kofferpacken. Von 23:30 Uhr
bis kurz nach halb eins können wir dank Carstens Stopftalent unser gesamtes Hab und Gut verstauen. Unsere
letzte Nacht auf australischem Boden ist angebrochen.

 

    ZURÜCK ZUM 16. TAG

WEITER ZUM 18. TAG